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Warum sind Mutationen gefährlich?

Warum neue Mutationen so gefährlich sind, lässt sich relativ schnell und einfach erklären. Die bereits im Impfstoff-Kapitel geschilderten Vorgänge der Herdenimmunität werden durch das Auftreten neuer Mutanten beeinflusst. Nehmen wir mal an, dass jeder Mensch bereits Kontakt zum Erreger hatte. Ohne entsprechende Gegenmaßnahmen würde das Virus weltweit relativ schnell einen Großteil der Weltbevölkerung infizieren. Die Folgen wären dramatisch, da ein großer Anteil dieser Menschen schwer erkranken und an der Infektion versterben würde. Nehmen wir bei einer Weltbevölkerung von fast acht Milliarden Menschen eine Sterblichkeit von unter einem Prozent an, ergeben sich noch immer Millionen von Todesopfern weltweit. Hinzu kommen die Schwerkranken und Langzeitgeschädigten, die das Gesundheitssystem überlasten. Wirklich zu begreifen sind die Dimensionen einer ungehinderten Virus-Verbreitung durch Tröpfchen oder Aerosole aber nur, wenn wir auch das exponentielle Wachstum verstehen. Ohne jetzt zu tief in die Mathematik einzutauchen, kann man sich folgendes Szenario vorstellen:

In einem Teich wachsen Seerosen. Innerhalb von 30 Tagen ist der Teich komplett mit Seerosen bedeckt. Mit jedem Tag verdoppeln sich die Seerosen. Wie viele Tage müssen vergehen, bis der Teich zur Hälfte zugewachsen ist und wie viele Tage dauert es, bis er komplett mit Seerosen bedeckt ist?

 

(a)

Die Antwort ist einfach. Aber auch überraschend eindrucksvoll. Nach 29 Tagen ist der See bis zur Hälfte mit Seerosen bedeckt. Es vergeht nur ein weiterer Tag und der See ist komplett mit Seerosen bedeckt, egal wie groß der Teich oder der See ist. Übertragen auf das Virus bedeutet das nichts Gutes. Ab einer kritischen Anzahl an Infizierten, wird es praktisch unmöglich, die Infektionsketten zu durchbrechen. Das Virus grassiert ungehindert. Es durchseucht ganze Bevölkerungsschichten innerhalb kürzester Zeit. Zwar baut sich währenddessen eine Herdenimmunität auf, aber der Preis ist hoch. 

Wenn jetzt auch noch Mutanten ins Spiel kommen, die sich noch schneller und effektiver ausbreiten können wie beispielsweise B.1.1.7, dann helfen nur noch richtig harte Lockdown-Maßnahmen, um das exponentielle Anwachsen der Fallzahlen zu stoppen. Denn ebenso wie ein exponentielles Anwachsen der Fallzahlen, gibt es auch ein exponentielles Abflachen. Somit haben wir es selbst in der Hand, ob wir dem Virus und neuen Mutanten eine Chance geben (1, 2). 


(b)

Während die soeben erwähnte britische Mutante B.1.1.7 vor allem jüngere Menschen infiziert und sich in Deutschland innerhalb weniger Monate gegenüber dem ursprünglichen Wildtyp des Virus durchgesetzt hat, gibt es noch problematischere Varianten. Diese werden in der Wissenschaft oft als VOC (variant of concern) bezeichnet. Insbesondere die südafrikanische Variante B.1.351 oder die brasilianische Variante P.1 weisen Eigenschaften auf, die uns alarmieren sollten. Bereits gebildete Antikörper gegen den Wildtyp, können die neuen Varianten schlechter neutralisieren. Es besteht also das Risiko einer Immunflucht (1-5). 

Hierzu ein kurzer Exkurs ins Reich der Biologie. Weltweit zirkulieren unzählige Mengen an Virus in menschlichen Populationen. Nun ist es so, dass einige Menschen geimpft wurden oder bereits Kontakt zum Wildtyp des SARS-CoV-2 Virus hatten. Diese Menschen gelten zunächst als immun. Die Wahrscheinlichkeit einer Infektion und eines schweren Krankheitsverlaufs sind bei diesen Menschen reduziert. Dennoch kann es passieren, dass sich aufgrund der hohen Anzahl an Viren genau jene Mutationen durchsetzen, die einen Vorteil für das Virus haben. Und zu diesem Vorteil gehört ganz klar eine Veränderung am bereits beschriebenen Spike-Protein, also dem Stachel mit dem das Virus menschliche Zellen kapert. Setzen sich diese Veränderungen also durch oder treffen solche Varianten mit veränderten Eigenschaften auf Menschen, deren Immunsystem die neuen Eigenschaften nicht mehr erkennen, kann es zu erneuten Infektionen kommen. Es ist also naheliegend, dass uns das Coronavirus ähnlich wie das Influenza-Virus (Grippe) noch einige Zeit beschäftigen wird. Der Vorteil unserer neuen Impfstoffe auf mRNA Basis ist jedoch, dass sich diese relativ schnell anpassen lassen, sobald neue VOC auftreten und deren Sequenzdaten bekannt werden. Wir sind also keineswegs blind und ungeschützt. Die Fortschritte in der Biotechnologie haben es uns ermöglicht, deutlich schneller und effektiver auf neue Infektionskrankheiten wie SARS-CoV-2 zu reagieren (1-9).


Literatur

(1) Rambaut A, Loman, N., Pybus, O., Barclay, W., Barrett, J., Carabelli, A., Connor, T., Peacock, T., Robertson, D.L., and Volz, E. Preliminary genomic characterisation of an emergent SARS-CoV-2 lineage in the UK defined by a novel set of spike mutations. 2020.

(2) Kidd M, Richter A, Best A, Mirza J, Percival B, Mayhew M, et al. S-variant SARS-CoV-2 is associated with significantly higher viral loads in samples tested by ThermoFisher TaqPath RT-QPCR. medRxiv. 2020.

(3) Tegally H, Wilkinson E, Giovanetti M, Iranzadeh A, Fonseca V, Giandhari J, et al. Emergence and rapid spread of a new severe acute respiratory syndrome-related coronavirus 2 (SARS-CoV-2) lineage with multiple spike mutations in South Africa. medRxiv. 2020.

(4) Ärzteblatt D. Novavax-Impfstoff: Vor allem die südafrikanische Variante mindert die Schutzwirkung gegen COVID-19. 2021.

(5) Wibmer CK, Ayres F, Hermanus T, Madzivhandila M, Kgagudi P, Oosthuysen B, et al. SARS-CoV-2 501Y.V2 escapes neutralization by South African COVID-19 donor plasma. Nature medicine. 2021.

(6) Muik A, Wallisch A-K, Sänger B, Swanson KA, Mühl J, Chen W, et al. Neutralization of SARS-CoV-2 lineage B.1.1.7 pseudovirus by BNT162b2 vaccine–elicited human sera. Science. 2021.

(7) Wang P, Nair MS, Liu L, Iketani S, Luo Y, Guo Y, et al. Antibody resistance of SARS-CoV-2 variants B.1.351 and B.1.1.7. Nature. 2021.

(8) Wu K, Werner AP, Moliva JI, Koch M, Choi A, Stewart-Jones GBE, et al. mRNA-1273 vaccine induces neutralizing antibodies against spike mutants from global SARS-CoV-2 variants. bioRxiv. 2021.

(9) Dagan N, Barda N, Kepten E, Miron O, Perchik S, Katz MA, et al. BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine in a Nationwide Mass Vaccination Setting. New England Journal of Medicine. 2021.


Abbildungen

(a) Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay (lizenzfrei)

(b) SARS-CoV-2 icon by Hanna Vega is licensed under CC-BY SA 4.0


Hinweis

Alle genannten Daten wurden im Rahmen eines Hochschulprojektes im Kurs Bioinformatik des Studiengangs Biotechnologie an der Beuth Hochschule für Technik Berlin ausführlich recherchiert und nach bestem Wissen und Gewissen zusammengefasst. Dies ersetzt jedoch keinen ärztlichen Rat und auch keine ärztliche Diagnose. Bitte informieren Sie sich bei Symptomen oder Verdacht auf COVID-19 bei Ihrer zuständigen Gesundheitsbehörde.